„Als EU müssen wir die großen Dinge anpacken“
EUROPA Ministerin Lucia Puttrich diskutiert mit Bürgern im Presseclub Wiesbaden
WIESBADEN. Für eine europäische Flüchtlings- und Verteidigungspolitik sowie für das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen in der Europäischen Union hat sich die hessische Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten Lucia Puttrich am Dienstagabend im Presseclub Wiesbaden ausgesprochen.
„Wir werden zukünftig eine stärkere Rolle in der Nato übernehmen müssen“, sagte die Ministerin im Hinblick auf die Auswirkungen der angekündigten amerikanischen Abschottungspolitik von US-Präsident Donald Trump. „Der Bündnispartner, den wir für selbstverstständlich gehalten haben, beschäftigt sich auf einmal nur noch mit sich selbst.“ Lange genug habe man sich bei Verteidigungsfragen wegducken können, jetzt müsse Europa selbst Verantwortung übernehmen.
Die anstehenden Herausforderungen seien der Umgang mit internationalem Terror, die Auseinandersetzung mit der Flüchtlingskrise, die Sicherung der Außengrenzen sowie Fragen der europäischen Außenpolitik. In der Haltung gegenüber Russland und der Türkei müsse eine gemeinsame Linie gefunden werden. „Als EU müssen wir die großen Dinge anpacken. Das empfinden die Menschen als essenziell.“
Schwierig sei dabei die Rolle Deutschlands in der EU: „Wir haben eine stärkere Rolle innerhalb der europäischen Gemeinschaft und damit auch eine größere Verantwortung, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik“, betonte Puttrich. Zu stark auftreten wolle man aber auch nicht, um das Gleichgewicht nicht zu gefährden. Was Europa zusammenhalte, sei der Handel. Hessen spiele dabei als wirtschaftsstarkes Bundesland in zentraler europäischer Lage eine wichtige Rolle: 60 Prozent der Exporte gingen in europäische Nachbarländer.
Politische Union noch zu schwach ausgeprägt
Aus dem Publikum kam prompt der Appell, dass „uns in Europa die politische Union fehlt. Bisher waren wir eher eine Wirtschaftsunion.“ Was Europa bräuchte, sei ein europäischer Außen- und Wirtschaftsminister, um in den Köpfen der Bürger präsenter zu sein.
„Das wird noch sehr lange dauern“, entgegnete Puttrich mit dem Verweis auf die Einzelinteressen europäischer Länder in Fragen der Flüchtlingspolitik und bei Wirtschafts- und Finanzthemen. Ein gemeinsamer Geist und eine europäische Solidarität müssten erst noch entwickelt werden. „Die Herausforderungen werden komplexer und manche Länder glauben, dass sie alleine besser zurecht kämen. Für Europa-Unterstützer ist es zur Zeit ein steiniger Weg“, schilderte die Ministerin die Komplexität der aktuellen Lage.
Gefragt nach Lösungen, sagte Puttrich: „Ich halte es für wichtig, dass wir in einen Dialog kommen. Wir müssen uns klar werden, wie wir als Gemeinschaft auf Herausforderungen reagieren und selbstbewusst für unsere Werte einstehen.“
Wiesbadener Kurier, 26.01.2017