Reise nach Brüssel 21. – 24.5.2023
Einblicke in die Herzkammer
Presseclub reiste vom 21. bis 24. Mai in die Hauptstadt der Europäischen Union
Der Presseclub hat nun auch sein Waterloo erlebt. Doch anders als der gemeine Sprachgebrauch es suggeriert, ist damit lediglich der Abschluss einer Reise vom 21. bis 24. Mai beschrieben, die mit vielen Erfolgserlebnissen gespickt war. Sie fand auf dem Schlachtfeld vom 18. Juni 1815 ihren Abschluss. Ein Brüssel-Programm in vier Tagen, das hieß für die 20 Personen starke Gruppe in Zahlen insgesamt 13 Gesprächspartner an acht Orten, gefühlte 50.000 Schritte Fußmarsch und zur Stärkung rund fünf Kilo Pommes Frites. Das Spielfeld steckte Stadtführer Paul Schepers bei einem Stadtrundgang ab, bei dem die Reisenden im Strom der Sonntagstouristen schwammen und vor einem Besuch des Manneken-Pis nicht zurückschreckten.
Die hessische Landesvertretung ist ein Muss für Brüsselreisende. Nicht nur aus Hessen. In der Europahauptstadt findet sich laut glaubwürdigen Zeugenaussagen kaum ein Ort, der spannendere Veranstaltungen mit interessanteren Gesprächspartnern bietet als das Haus in der Rue Montoyer. Von dort aus kümmert sich Robert Möhrle um die Verbindungen zum Europaparlament. Zurzeit kämpfen die Hessen darum, den Sitz der europäischen Agentur zur Bekämpfung der Geldwäsche (AMLA) nach Frankfurt zu holen. Scherzhaft gesagt, weil die Deutschen sich gut mit Geldwäsche auskennen, im Ernst: In Frankfurt bündeln sich viele Finanzbehörden der Union, Synergien wären möglich. Möhrle meint, dass eine Entscheidung bis Ende des Jahres getroffen wird.
„In den letzten 15 Monaten hat die EU mehr als in den letzten 30 Jahren an Profil in der Verteidigungspolitik gewonnen.“ Das sagt kein EU-Politiker, sondern Roland Freudenstein, der die Brüsseler Niederlassung des in Bratislava angesiedelten Thinktanks GLOBSEC leitet. Und dennoch bleibe die Lage in der Ukraine kritisch. Zu spät seien die gewünschten westlichen Waffensysteme angekommen, gefährlich sei die Distanz des globalen Südens von Brasilien bis Indien, und auch die Verbindung zwischen Russland und China macht Freudenstein Sorgen.
Johannes Volkmann, Büroleiter des Europaabgeordneten Sven Simon (CDU), gewährte den Wiesbadenern einen Blick in die Herzkammer der europäischen Demokratie. Ein Jahr vor der Europawahl sieht der Mittelhesse eine wachsende Bedrohung durch die Extremistenflügel im hohen Haus. Sein Chef stieß am Abend zur Besuchergruppe und spendierte als Wiedergutmachung für seine Verspätung eine Runde belgisches Bier. Simon bedauert, wie unausgewogen und wenig kreativ die Berichterstattung vor allem der öffentlich-rechtlichen Medien aus Brüssel erfolge. Sie sei oft nur anlassbezogen und folge den ausgetretenen Pfaden der Spitzenpolitiker, die aus Deutschland zu Gipfeln oder Konferenzen anreisten. Die sieben hessischen Europaabgeordneten erhielten selten Chancen, zu Wort zu kommen.
Bei aller Kritik im Detail sind sich die Gesprächspartner einig, dass es zu dem großen Werk der Europäischen Union keine Alternative und weltweit nichts Vergleichbares gibt. Das ist Kurt Gaissert wichtig, der gemeinsam mit Paul Schepers durch das Haus der Europäischen Geschichte führte. Die vielen Einzelstücke, minutenlange Einspielfilme und Kunstwerke sind es wert, sich der Materie länger zu widmen. Den Hessen wurden im vierten Stockwerk die Beine müde, aber dort begann erst die Geschichte der EU…
Einen ernüchternden Einblick in das Rekrutierungsverfahren für Spitzenbeamte der EU gab Hardy Ostry. Der Niederlassungsleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel schilderte, wie sich Jahr für Jahr beispielsweise französische Kandidaten an den Deutschen vorbeischöben, weil der „Concours“ nach Regeln der Eliteschulen rund um Paris abgehalten werde. Große Sorgen macht Ostry, dass erfahrene deutsche EU-Beamte zwar noch in vielen Kabinetten der EU-Kommissare vertreten seien, die nachwachsenden jungen Kräfte aus Deutschland aber fehlten. „Nach Europa zu gehen, hat in Deutschland offenbar an Reiz verloren.“
Gregor Mayntz würde da widersprechen. Zumindest für seine Person. In einem Alter, in dem sich andere mit der Frage beschäftigen, ob ein Schrebergarten oder ein Segelboot die beste Beschäftigung für den Ruhestand ist, entschied sich der damals 61-Jährige für einen Neubeginn als Korrespondent der Rheinischen Post in Belgien. Dem waren mehr als zwei Jahrzehnte als Hauptstadtberichterstatter in Berlin vorausgegangen, zeitweise als Vorsitzender der Bundespressekonferenz. Sein Einblick in die Mechanismen der Pressearbeit war teils ernüchternd – tägliche Pressekonferenzen der Kommission mit einem Erkenntnisgewinn gegen Null – teils irritierend. So zum Beispiel, wenn Mayntz die rätselhaften German Votes beschrieb, solche Stellungnahmen der Bundesregierung nämlich, die dank der Zerstrittenheit der Ampelkoalition in Berlin gar keine Stellung beziehen. Dabei schaue ganz Brüssel darauf, wie sich die größte und reichste Nation der EU verhalte.
Was Mayntz den Europäern im Krieg der Russen gegen die Ukraine bescheinigte – „die EU hat gestanden“ – das bestätigten wenig später deutsche Spitzenvertreter im Nato-Hauptquartier. Gleich zwei Generäle und ein Oberst im Generalstab erläuterten den Besuchern in dem hermetisch abgeriegelten Neubau aus dem Jahr 2016, wie sich die Bündniswelt schon seit dem Überfall auf die Krim 2014 verändert hat. „Das ist die größte Umkrempelung in der Geschichte der Nato.“ Noch vor wenigen Jahren hatte US-Präsident Trump deren Ende vorhergesagt, der französische Präsident Macron hatte ihr den Hirntod bescheinigt. Im Gegensatz dazu vermittelte das riesige Gebäude, das mit viel Glas Transparenz und Offenheit symbolisieren soll, eher den Eindruck eines höchstlebendigen Ameisenhaufens. Schon beim Einzug habe man feststellen müssen, dass das Gebäude, ausgelegt für 4000 Mitarbeiter, zu klein geraten sei, erfuhren die Gäste bei einer Führung. Die neue Strategie, über die referiert wurde, trägt durchaus Züge der Vergangenheit des Kalten Krieges. Jetzt heißt es: „Back into a modern future.“
Was der Krieg für jeden Einzelnen bedeuten kann, hätte der abschließende Besuch des Schlachtfeldes von Waterloo in einem Vorort von Brüssel zeigen können. Zwar führte die Deutsch-Französin Angela Rousseau kundig durch die Geschehnisse der letzten Schlacht Napoleons gegen die Alliierten. Doch das Museum gleicht einem Kostümball, die Effekte werden von Gags beherrscht (wie funktioniert eine Guillotine?), und die Leiden der Zehntausende Toten und Verletzten kamen viel zu kurz. Und über allem thront der Verlierer und absolute Monarch aus Frankreich. Zum Trotz mied die Reisegesellschaft die Napoleon-Schänke und steuerte zum Abschluss das Bistro Wellington an.
Der Dank für die perfekte Organisation und Reisebegleitung geht an Dr. Thomas Ehlen, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Hessen und Thorsten Weber, Geschäftsführer der Hessischen Akademie für politische Bildung e.V.; und an Busfahrer Steffen Sudek, der nie die Nerven verloren hat, Anlässe hätte es genug gegeben.
Stefan Schröder
Fotos: Alexander Moutchnik und Stefan Schöder