Minderheiten kommen nicht vor
MEDIENLOUNGE Presseclub diskutiert „Populismus“
Von Ingeborg Toth
WIESBADEN . Vom Filmemacher Til Schweiger war in der Medienlounge des Presseclubs die Rede. Der Schauspieler stelle die Dämonisierung des Wortes „Populismus“ infrage, befand Moderator Gordon Bonnet. Er zitierte Schweiger: Schließlich sei etwas Populäres per se „nicht direkt schlecht“. Bonnet gab die Frage, ob denn etwas schlecht sei am Populismus, an seine beiden Gesprächspartner weiter, den Kommunikationswissenschaftler Christian Schemer und Carl Berning, Politikwissenschaftler, beide von der Uni Mainz. Schemer pflichtete dem Filmemacher insofern bei, wonach bestimmte Gruppen stereotyp und stark einseitig dargestellt würden. Er erklärte: Das Wort „Populismus“ komme zum Beispiel Politikern rasch über die Lippen, um den Gegner zu diffamieren. „Das macht es Wissenschaftlern nicht gerade leichter, sich mit dem Thema zu beschäftigen.“
Beide Gesprächsteilnehmer im Presseclub waren der Meinung, dass Populisten vortäuschten, dem Volk eine Stimme zu geben. Bei erfolgreichen populistischen Bewegungen, wie wir sie in Holland oder Frankreich gesehen haben, tauchten charismatische Persönlichkeiten auf, die suggerierten, näher an der Volksmeinung zu sein. „Diese Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern, vor allem rechts-populistische, lernen auch voneinander“, so Schemer. Sie kopieren sich gegenseitig.
„Die Idee hinter dem Populismus ist, dass es einen Volkswillen gibt“, sagte Berning. Minderheiten, die anderer Meinung sind, kämen bei diesen „Volksverstehern“ nicht vor. Diese scheinbar homogene Gruppe wolle dann auch ihren Willen durchsetzen. Eine andere Sache sei, das Denkgebäude von Menschen zu betrachten, die populistische Parteien wählen. Schemer glaubt zu erkennen, dass ihnen der Volkswille über alles gehe. „Sie sind zutiefst anti-globalistisch, zutiefst anti-liberal. Das kann so weit gehen, dass einer fragt: ‚Sollen wir die Todesstrafe einführen? ‘, und die Antwort lautet mehrheitlich ‚Ja‘. Und dann gilt das.“
Was Populisten denken, stehe im Gegensatz zu dem, wofür die Verfechter einer repräsentativen Demokratie kämpften. Für die ist „das Volk“ keine Instanz mit einem gleich gerichteten oder gar homogenen Willen.
Direkte Demokratie hat Vor- und Nachteile
Bonnet warf das Stichwort „Bürgerbeteiligung“ in die Debatte. Die werde in immer höherem Maße propagiert. Der Moderator wollte von den beiden Professoren wissen, wie sie dazu stehen, müssen dabei doch die gewählten Volksvertreter ein Stück beiseitetreten. Schemer, der sechs Jahre an der Uni Zürich lehrte, verwies auf das Beispiel Schweiz. Die direkte Demokratie habe Vor- und Nachteile. Nachteil: „Man muss sehr oft abstimmen, das führt zu einer geringen Wahlbeteiligung.“ Wenige entscheiden dann etwa, wie in der Schweiz geschehen, dass in der Verfassung ein Bauverbot für Minarette steht. „Es besteht die Gefahr, dass solche Elemente der Bürgerbeteiligung von Rechtspopulisten ausgenutzt werden.“ Die direkte Demokratie setze informierte Bürger voraus, so Berning. Darüber hinaus sollte ein Minderheitenschutz gewährleistet sein, die verschiedensten Interessen müssten ausgeglichen werden.
Wiesbadener Kurier, 16.06.2017