Lokaljournalisten an der Front | Juni 2022
Artikel Nr. 1, Juni 2022
Vier Chefredakteure berichten über die Arbeit der Kriegsberichterstattung
Von Olena Sadovnik
FRANKFURT. Am 24. Februar machte die großangelegte militärische Invasion Russlands in die Ukraine alle Journalisten auf einmal zu Kriegsberichterstattern. Für einige Redaktionen war dies das erste Mal, für andere bedeutete es nur eine Zunahme von Kampfhandlungen. Sie kannten es, unter Beschuss zu arbeiten, seit 2014 Russland die Krim illegal annektiert und einen hybriden Krieg in den Gebieten Donezk und Luhansk begonnen hatte. Olena Sadovnik, Stipendiatin des Presseclubs Wiesbaden, hat mit vier Chefredakteuren und Managern von Onlinemedien aus der Ost-, Süd- und Westukraine gesprochen, um herauszufinden, wie sich der Krieg auf ihre Arbeit auswirkt und welchen Herausforderungen ihre Redaktionen gegenüberstehen.
- Mariia Davydenko, Pokrowsk, Gebiet Donezk: vchasnoua.com
- Anna Murlykina, Mariupol, Gebiet Donezk (sie arbeitet in der Evakuierung, Mariupol ist von den Russen besetzt): 0629.com.ua
- Olha Hontschar, Chwostowa, Krywyj Rih, Gebiet Dnipropetrowsk: expertkr.com.ua
- Nataliia Ulynez, Mitinhaberin und Leiterin der Redaktion in Lemberg: dyvys.info
Redaktionen sind auf der Karte benannt. Die Farben zeigen den Stand der militärischen Auseinandersetzung im Juni an. Orange: besetzte Gebiete im Jahr 2014, rot: besetzte Gebiete im Jahr 2022, hell-pfirsichrot: russische Truppen haben sich im März und April 2022 zurückgezogen.
Nachrichtenagentur Vchasno, die Chefredakteurin im Interview
Mariia Davydenko, Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Vchasno, ist zum zweiten Mal Flüchtling geworden. 2014 kündigte sie ihren Lieblingsjob bei einem Fernsehsender in Donezk, nachdem bewaffnete, von Russland unterstützte Separatisten ins Büro eingebrochen waren und angekündigt hatten, dass die Sendungen nun ausschließlich nach ihren Vorgaben erfolgen würden. Die Arbeit als Journalistin war unmöglich, ja tödlich geworden. Mariia zog in das von der Ukraine kontrollierte Städtchen Pokrowsk im Gebiet Donezk, fing bei null an und baute ein Onlinemedium auf.
Zum Zeitpunkt unserer Recherchen im Juni 2022 wurde Pokrowsk zum Fluchtziel von Zivilisten aus umliegenden Dörfern, in denen bereits heftige Kämpfe tobten. Obwohl die Redaktion evakuiert wurde, kehrt Maria für Reportagen immer noch oft nach Pokrowsk und an die Front zurück.
Mariia Davydenko in einer kugelsicheren Presseweste mit Angehörigen der ukrainischen Armee. © Davydenko
Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf Ihre Redaktion?
Für uns begann der Krieg bereits 2014. Trotzdem war die großangelegte Invasion ein Schock. Vor allem, als am 24. Februar morgens drei Raketen über das Dach meines Hauses in Richtung Dnipro und Zentralukraine flogen. Übrigens kamen sie aus dem besetzten Donezk und dem benachbarten Gebiet Rostow. Einige Tage zuvor lagen Briefe in der Redaktionspost, in denen wir aufgefordert wurden, mit den Besatzungsbehörden zusammenzuarbeiten. Wir erhielten auch Drohungen, in denen vermerkt wurde, dass man unsere Adressen usw. kenne.
Wie haben Sie reagiert?
Mir war wichtig, das Team nicht zu verlieren und unsere unabhängigen Informationsquellen aufrechtzuerhalten. Deshalb wurden ein Teil der Redaktion und die Ausrüstung in den ersten Wochen der Invasion in die Westukraine gebracht. Einige Leute blieben im Gebiet Donezk.
Wie haben Sie Ihre Arbeit finanziert?
Die ersten zwei Kriegsmonate waren für uns sehr schwierig. Erstens verloren wir die Finanzierung – es gab keine kommerziellen Aufträge, es kamen keine Spenden herein. Deshalb führte ich die Redaktion anderthalb Monate lang auf eigene Kosten und suchte bei westlichen Partnern nach Unterstützung. Gerade noch rechtzeitig sprangen uns die Stiftungen National Endowment for Democracy und European Endowment for Democracy zur Seite.
@ Vchasnoua.com
„Geschichte eines Pfarrers, der zur Territorialverteidigung ging“
Erfahren Sie mehr im Artikel samt Video unter der Webseite vchasnoua.com …
Wie hat sich ihre Arbeit verändert?
Emotional war es sehr schwer. Wir haben ohne Ruhetage gearbeitet, weil es andauernd neue Nachrichten gab. Viele der Helden unserer Publikationen, darunter die Veteranen der Anti-Terror-Operation, lokale Aktivisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zogen in den Krieg. Nach und nach trafen Informationen über den Tod dieser Menschen und die Besetzung von Gemeinden ein, in denen wir vor kurzem Geschichten über Reformen und demokratische Erfolge gedreht hatten. Alles, was wir nach 2014 acht Jahre lang wiederaufgebaut hatten, wurde von den Russen gnadenlos zerstört. Acht Jahre harter Arbeit! Alles wurde von russischen Raketen und Truppen vor unseren Augen vernichtet! Über die Luftangriffe auf Mariupol konnten wir nicht ohne Emotionen schreiben: Unsere Freunde und Bekannten waren noch in der Stadt. Wir weinten, zitterten, nahmen Beruhigungsmittel, um irgendwie durchzuhalten, und schrieben weiter. Darüber hinaus versuchten wir, unsere Verwandten und Freunde aus den gefährlichen Städten zu holen. Heute bin ich teilweise nicht einmal mehr in der Lage, mich an alle Momente des ersten Kriegsmonats zu erinnern - eine Gedächtnislücke. Der Psychologe sagt, es seien die Nachwirkungen eines Schocks.
Was ist aus Ihren Kollegen geworden?
Zwei unsere Mitarbeiter sind an die Front gegangen, wir unterstützen diese Jungs. Zwei Personen haben aus familiären Gründen gekündigt. Um deren Arbeit zu ersetzen, fanden wir Freiberufler. Auf diese Weise haben wir zwei Journalisten eingestellt, die durch den Krieg ihre Stellen verloren hatten.
Haben Sie neue Nachrichtenformate entwickelt?
Von den ersten Kriegstagen an erstellten wir unseren eigenen Telegrammkanal, der schnell in Gang kam. Die russischen Hacker starteten gegen unsere Website aktive DDoS-Angriffe. Schließlich schreiben wir die Wahrheit über den Krieg, über das Vorgehen Russlands in der Ostukraine, darüber, wie die russischen Soldaten töten und ausplündern, über die Verräter. Unsere Website wurde nach den Angriffen mehrmals wiederhergestellt, wir mussten ihren Schutz verstärken. Daraufhin setzte Russland die Website Vchasno auf die Liste der verbotenen Informationsquellen in der russischen Föderation und sperrte uns für ihre Nutzer. Wir hatten bis dahin Nutzer aus Russland und den besetzten Gebieten.
Worüber schreiben Sie und Ihre Kollegen?
Wir berichten und machen Interviews mit Militärs, Freiwilligen, Einheimischen, dokumentieren die Verbrechen Russlands gegen die Ukraine. Die russischen Raketen fliegen immer noch über mein Dach. Einige Zeit lang konnte ich meine Angst nicht überwinden, über Menschen im Krieg zu schreiben. Ich hatte Angst, sie zu verlieren, dass sie getötet werden, aber dann habe ich es geschafft, und jetzt schreibe ich darüber.
Wie lange konnten Sie diese Arbeit durchhalten?
Nach zwei Monaten ohne Ruhetage und in ständiger Anspannung waren wir fast erschöpft. Daher änderten wir unseren Arbeitsplan - wir teilten uns in zwei Schichten auf, verteilten die Aufgaben neu und schafften es, unsere Tätigkeiten zu organisieren. Heute arbeiten wir von verschiedenen Städten aus online - ein Teil der Redaktion befindet sich in der Westukraine, ein Teil in den Regionen von Donezk und Dnipropetrowsk. Ich arbeite in Pokrowsk und im Gebiet Donezk.
Wird die Redaktion auch selbst aktiv?
Wir engagieren uns auch ehrenamtlich - wir besorgen selbst so viel wie möglich, oder wir lassen unsere Beziehungen und Infokanäle spielen, um ein Problem zu lösen. Wir unterstützen auch die Helden unserer Berichte. Viele der lokalen Anti-Korruptions-Aktivisten, mit denen wir vor dem Krieg zusammengearbeitet haben, verteidigen jetzt unser Land. Wir helfen ihnen. Es war für uns immer wichtig, nicht nur Nachrichten zu schreiben, sondern auch aktiv bei allen Prozessen mitzuwirken.
Wie sieht es bei Ihnen mit der persönlichen Sicherheitsausstattung aus?
Uns hat das Unternehmen Jnomics Media, besonders dessen Direktor Gaygysyz Geldiyev sehr geholfen. Dank ihnen haben wir Schutzwesten, Helme, Satellitentelefone und Verbandkästen erhalten. Generell haben sie auf jede unserer Anfragen sehr schnell reagiert – unter Kriegsbedingungen ist das lebenswichtig. Wir sind der ganzen Belegschaft von Jnomincs sehr dankbar, und ich weiß, dass ich mich an sie mit jeder Frage wenden kann und sie mir helfen werden. Es sollte mehr solcher Organisationen für Medien geben.
Was unternehmen Sie als nächstes?
Ab Juli starten wir ein Projekt mit der Deutschen Welle und hoffen dadurch praktische Erfahrung zu sammeln. Hauptaufgabe ist, eine neue Webseite für Vchasno zu erstellen, die modern, sicher gegen die DDoS-Angriffe und interessant für die Leser ist; und wir hoffen auf eine bessere Qualität unserer Berichterstattung.
Inzwischen ist mir klar, dass wir nach dem Krieg vieles in der Redaktion werden ändern müssen. Wahrscheinlich werden sich nicht alle in einem Büro wie früher treffen können. Wir werden schauen und die Arbeit neugestalten. Wir möchten unsere Antikorruptions-ermittlungen fortsetzen, die wir vor dem Krieg erfolgreich entwickelt hatten; ebenso möchten wir alle demokratischen Reformen unterstützen – fast alles muss man von null anfangen, aber der Krieg hat unsere Erfahrung und Fähigkeiten nicht zerstört.
Seit 2014 hat die russische Armee immer wieder versucht, Mariupol einzunehmen, aber die Stadt leistete erfolgreich Widerstand. Seine Einwohner genauso wie die Redaktion 0629.com.ua waren daran gewöhnt, in einer frontnahen Stadt zu arbeiten. Die Intensität der Explosionen in den ersten Stunden des 24. Februar erschütterte jedoch alle Einwohner. Viele Einheimische, darunter auch Journalisten der Redaktion haben sich der Armee angeschlossen. Der Redaktion blieb keine Zeit für die Evakuierung. Seit Junii 2022 wird Mariupol von den Russen kontrolliert.
Anna Murlykina, Chefredakteurin von 0629.com.ua, berichtet, dass sie die Mehrheit ihres Teams verlor. Ein Teil der Leute ging ins Ausland und arbeitet seitdem nicht mehr. Ein anderer Teil kämpft bei der Territorialverteidigung. Ein weiterer Kollege, Oleksandr Hudilin, befindet sich in russischer Gefangenschaft.
Wie die Online-Redaktion 0629.com.ua aus dem von Russen besetzten Mariupol berichtete
Zur Online-Redaktion 0629.com.ua …
In der ersten Aprilhälfte geriet der 31-Jährige Journalist der Redaktion 0629.com.ua von Mariupol und Verteidiger der Ukraine, Vater zweier Kinder, Oleksandr Hudilin, in russische Gefangenschaft. Seitdem ist sein Schicksal weder seiner Frau noch seiner Mutter noch seinen Kollegen bekannt. Foto: NSJU.org
Am 6. Juni wird in der Ukraine der „Tag des Journalisten“ gefeiert
Dazu schrieb Anna Murlykina Folgendes auf Social Media-Seiten:
„Noch nie war der Tag des Journalisten für mich so traurig. Jedes Jahr am 6. Juni dachten mein Team und ich uns etwas Außergewöhnliches, Interessantes, Neues aus, um uns zu gratulieren. Dieses Jahr sind von dem Team nur noch zwei übrig: Alona Kaliakina und ich. Und wir denken uns nichts aus, denn wir arbeiten ohne Pausen schon seit 103 Tagen an einem Stück und sind sehr müde. Aber wir arbeiten. Und werden arbeiten. Weil in diesen kritischen Momenten unsere Arbeit für das Land enorm wichtig ist. Und in solchen Momenten versteht man umso mehr, dass ein Journalist kein Untergestell fürs Mikrofon ist, er ist kein reiner Überbringer. Ein Journalist ist ein Mensch, der ganz genau weiß, was gut und was böse ist, und er steht immer auf der Seite des Guten. Leider verstanden das einige meiner Kollegen vor dem Krieg nicht und arbeiteten FÜR den Krieg [Redaktion: Damit ist die Verbreitung russischer Propaganda-Erzählungen gemeint, zum Beispiel dass die Ukraine vom Westen regiert werde]. Einige verloren den Sinn für Gerechtigkeit und gingen auf die Seite des Bösen.
Es ist aber kein Grund den Kopf hängen zu lassen. Denn es ist sehr viel Gutes mit uns geblieben. Ich möchte mich bei der gesamten Journalisten-Gemeinschaft bedanken, weil sie nicht fragten, nicht warteten – sondern gleich ihre Hilfe anboten. Die Kollegen aus Lemberg, Kyjiw, den USA, Tschechien, Polen, Estland, Deutschland schrieben, boten an, retteten.“
Das Büro in Mariupol ist ausgebrannt. Die Einrichtung wurde zerstört. Nach der Befreiung der Stadt muss die Arbeit dort wieder anlaufen. Wie das finanziert werden soll, weiß derzeit keiner. Die Werbung lokaler Geschäfte ist als Finanzierungsquelle komplett ausgefallen. Die Stadt liegt in Schutt und Asche. Für die Chefredakteurin gibt es im Moment mehr Fragen als Antworten. Solange Mariupol besetzt ist, gibt es keine Strategie für die Zukunft.
Maryna Moloshna, Journalistin der Redaktion 0629.com.ua, die im Krieg kämpft.
Foto: Social Media
Interview mit Olha Honchar-Khvostova, Chefredakteurin von „Expert-КР“ aus Krywyj Rih
Welche Auswirkung hatte der Krieg auf Ihre Redaktion?
Am Morgen des 24. Februar machten wir eine 6-stündige Live-Übertragung über alles, was geschah. Dann zog ein Teil des Teams um, weil wir die Risiken für unser Leben und unsere Gesundheit im Falle eines schnellen Angriffes und einer Besetzung als zu hoch einschätzten. Das lag auch an unserer kritischen Haltung sowohl gegenüber der Ortsmacht (sie hätte kollaborieren können) als auch gegenüber Russland als einem Aggressor-Staat. Drei unserer Journalisten, die ständig vor der Kamera arbeiten, gingen mit ihren Familien nach Lemberg, drei Nebenberufler fuhren ebenfalls weg. Als nach einigen Tagen klar wurde, dass es keine Besatzung oder Kollaboration in Krywyj Rih geben wird, kehrten zwei unserer Journalisten mit ihren Familien zurück. Eine Journalistin nutzte eine Möglichkeit, die die USA anbieten, und reiste dorthinaus. Die Redaktion wechselte in kleinere Räume und ändert die Studioarbeit für die Raumbedingungen um.
Screenshot eines Berichts von «Expert-КР» aus der Gemeinde Selenodolsk in der Region Dnipro, die wegen dem russischen Krieg in der Ukraine zu Schaden kam.
Zum Video auf Plattform „YouTube“ …
Wie finanzieren Sie sich?
Wir hatten Glück mit der Unterstützung durch unsere Spender. Unser Hauptspender, NED, zeigt maximale Flexibilität und kommt uns bei allen Fragen entgegen. Auch von anderen Spendern haben wir Hilfe erhalten und sind allen sehr dankbar. Denn das ermöglicht es uns, nicht nur selbst zu arbeiten, sondern auch unsere Kollegen zu unterstützen und den Streitkräften der Ukraine zu helfen.
Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit im Krieg?
Wir sind journalistischen Organisationen dankbar, die halfen StarLink (Redaktion: ein Satellitennetzwerk), Schutzmittel und Verbandkasten zu erhalten! Auch hat uns das Verteidigungsministerium der Ukraine mit militärischer Akkreditierung ausgestattet. Dies macht es den Journalisten möglich Territorien zu besuchen, zu denen es zurzeit keinen freien Zugang gibt. Wir glauben an die Streitkräfte der Ukraine, wir glauben an die Ukraine, wir bemühen uns um den schnellstmöglichen Sieg über die russischen Besatzer.
Dyvys.Info und der Krieg
Lemberg liegt nur 75 Kilometer von der Grenze mit Polen entfernt. Es wurde seit Kriegsbeginn zum Zufluchtsort vieler Flüchtlinge und Unternehmen aus den besetzten Regionen und anderen Gebieten. Aber auch dort ist die Sicherheit relativ, denn die Stadt steht ständig unter Beschuss von russischen Raketen. Darüber schreibt <B>Nataliia Ulynets</B>, Mitinhaberin und Leiterin des Lemberger Online-Periodikums Dyvys.Info: „Noch vor ein paar Stunden hatte ich mich vom Leben verabschiedet. Explosionen nicht weit von meinem Haus ließen das Fensterglas aus dem Haus fliegen, Menschen ins Treppenhaus rennen, irgendwie in der Nähe schlugen Raketen ein. Es fühlte sich an, als sei das direkt hier im Hof. Und jetzt bereite ich mich auf die nächste Verhandlung mit Gesprächspartnern vor, blättere das aktuelle Forbes-Heft Ukraine durch, denke an das Team, an die Prozesse bei der Agentur und sogar an das Mittagessen und an ein Rezept für Ostergebäck.“
Im Gespräch erinnert sich Ulynets an das Entwicklungskonzept der Redaktion, das es vor dem Krieg gab – lebhaft, tiefgreifend, orientiert an der Unterstützung des Geschäfts- und Wirtschaftslebens in der Region. Der Krieg machte einen Strich durch diese Rechnung.
Der Werbemarkt brach zusammen. Die Redaktion wird aus Mitteln finanziert, die sie für Werbeaktivitäten in 2021 erhielt und macht Riesenschulden, auch bei den Gehältern. Die Honorare für freie Journalisten wurden gestrichen. Nataliia Ulynets fügt hinzu, es gehe der Redaktion wirtschaftlich sehr schlecht, aber sie ließen den Kopf noch nicht hängen und stellten Anträge auf alle möglichen Förderungen, obwohl das Ergebnis bislang null sei. Spender helfen in erster Linie Redaktionen, die vom Kriegsgeschehen direkt betroffen seien, Medien der westlichen Gebiete hätten keine Priorität.
Screenshot aus dem Werbeabschnitt der Webseite von Dyvys.Info.
Statt kostenpflichtige Werbung, die es nicht mehr gibt, postet die Redaktion Aufrufe, den Streitkräften der Ukraine zu helfen und russische Firmen in der Ukraine zu boykottieren.
Auch der Lemberger Redaktion blieben Personalverluste nicht erspart. Chefredakteur und Journalisten wurden in die Streitkräfte der Ukraine einberufen. Sie leisten Wehrdienst. Stand Juni arbeiten in der Redaktion fünf Personen, mehr könne man sich nicht leisten. „Wenn der Werbemarkt in der Ukraine, und insbesondere in Lemberg, nicht wieder zum Leben erwacht, wissen wir nicht, wie die unabhängigen lokalen Medien weiterarbeiten werden. Deswegen bewegen wir uns nur nach Wochenplänen und sind in ständiger Suche nach neuen Mitteln für die Hauptausgabenposten.“
Statt eines Fazits
Es ist nicht möglich über den Krieg distanziert zu schreiben, wenn dein friedliches Land angegriffen wurde. Als die Ukraine 1994 auf die Atomwaffen verzichtete, erklärte sich Russland zum Garanten für Sicherheit der territorialen Integrität und Staatshoheit der Ukraine. Mit dem Machtantritt von Wladimir Putin in 2000 setzte in Russland eine Reichsrhetorik bezüglich der Ukraine ein. Man begann, unabhängige Medien zu schließen. Den russischen Medien ist es verboten den Krieg als „Krieg“ zu bezeichnen, sie nennen es nach Aufforderung des Kreml „spezielle Militäroperation“.
Inzwischen gibt es fast in jeder Redaktion der Ukraine Menschen, die sich entschieden haben, ihr Vaterland zu verteidigen, indem sie sich der Armee, der Territorialverteidigung oder den Gruppen der Freiwilligen anschließen. Der Krieg vernichtete lokale Geschäfte und nahm dem Periodikum jegliche Einnahmen. Die Medien befinden sich in einer extremen Notlage. Sie halten sich mit Hilfe der internationalen Stiftungen und Organisationen über Wasser. Abgesehen von den finanziellen und Sicherheitsrisiken werden Mediaspezialisten mit Online-Drohungen der russischen Besatzer konfrontiert. Trotz allem riskieren Journalisten, Fotografen und Kameramänner täglich ihr Leben, um die Wahrheit über den brutalen, eroberungssüchtigen Krieg Russlands in der Ukraine zu erzählen (os).