Freundschaft macht Politik
PRESSECLUB OB: „Brauchen jetzt dringend Partnerschaft mit US-amerikanischer Stadt“
WIESBADEN . „Wenn vieles in dieser Welt durcheinander zu geraten droht, wird es umso wichtiger, das Miteinander zu leben.“ So Oberbürgermeister Sven Gerich im Presseclub. Er bilanzierte das „Jahr der Städtepartnerschaften“, das er 2016 ausgerufen hatte. Gerich mit Blick auf die weltpolitische Lage: „Wir brauchen jetzt dringend eine Partnerschaft mit einer US-amerikanischen Stadt.“
Weitere Partnerschaft muss politisch gewollt sein
Aus einem politischen Motiv heraus die Freundschaft zu suchen, habe eine gewisse Tradition in Wiesbaden – betrachte man etwa die Annäherung an Istanbul-Fatih. Jetzt noch eine weitere Städtepartnerschaft mit einer der Hauptstädte eines nordamerikanischen Bundesstaates, das müsse zunächst in Wiesbaden politisch gewollt und dann mit gesellschaftspolitischem Leben erfüllt werden. In einer Zeit, in der das Klima zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland abzukühlen drohe, sei es wichtig, dass Menschen miteinander redeten.
Die Vernetzung zwischen den Partnerschaftsvereinen war für Jadwiga Lange an der Spitze des Breslau-Vereins ein wichtiges Ergebnis des Partnerschaftsjahres. Ähnlich sahen dies Johann Zilien (Wiesbaden/Kfar Saba) und Thilo Tilemann, der an der Spitze des Austauschs mit dem glanzvollsten Stadtteil Istanbuls steht.
Moderator Lutz Schulmann fragte Tilemann, ob er angesichts der sich verschärfenden Konflikte in der Türkei die Hoffnung habe, dass der Partnerschaftsverein etwas bewegen könne. Tilemann: „Unser Bier ist Völkerverständigung zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen.“ Die Attentate der vergangenen Monate haben den Austausch erschwert und zumindest eine Reise nach Istanbul vereitelt. Es gibt allerdings auch die Wiesbadener, die „der anderen Hälfte der Türkei beiseite stehen wollen“. Also denen, die die Regierungspartei nicht wählen und aus diesem Grund dem Partnerschaftsverein beitreten. Aus politischen Motiven wurde auch die Freundschaft zu Kfar Saba begründet: „Um ein Verhältnis zu den Israelis zu gewinnen und es zu stabilisieren“, so vermutet Schulmann. Ähnlich sieht das Zilien: „Außenpolitik im Kleinen“ hätten die Väter und Mütter dieser besonderen Partnerschaft vor über 30 Jahren betreiben wollen. „Dieses Motiv existiert heute immer noch. Wir erleben ganz konkret, dass Israelis hierher kommen mit gewissen Vorbehalten und Ängsten.“ Beides versuche man abzubauen. Die Reisenden kehrten mit sehr persönlichen Eindrücken zurück – um sie daheim in eine „außergewöhnlich vernetzte Gesellschaft“ hineinzutragen. Zilien: „Das ist ein Stück Außenpolitik, das da stattfindet.“
Wirkt sich der neue politische Wind, der in Polen weht, auf die Partnerschaft mit Breslau aus? Diese Frage ging an Jadwiga Lange. „Nicht direkt“, antwortet sie. Habe man doch viele junge, weltoffene Partner in der niederschlesischen Metropole – etwa aus dem Bereich der Musik. Aber neue Schwierigkeiten mit der Stadtverwaltung erlebe man schon. In den vier Jahren, in denen der nach langer Agonie wiederbelebte Partnerschaftsverein agiert, habe man viele enge Kontakte aufgebaut. Die gebürtige Polin, die seit 1981 in Deutschland lebt: „Die Zeiten sind sehr, sehr turbulent.“
Florian Krätschmer von der Stadtverwaltung Görlitz berichtete von Görlitzer Bemühungen um eine lebendige Bürger-Partnerschaft mit Wiesbaden. Eine der Erfahrungen des „Jahres der Städtepartnerschaften“ ist: Nur Vereine können die Verbindungen auf Dauer halten. Gerich unterstützt Krätschmers Anliegen – handeln müssten jetzt die Görlitzer.
Wiesbadener Kurier, 16.02.2017