"Flüchtlingen viel mehr zutrauen"
GESPRÄCHE IN DER VILLA Architekt Manuel Herz über seine Mainzer Synagoge und Flüchtlingsprojekte
WIESBADEN. Manuel Herz hat mit seinem Bau der Synagoge in Mainz (2080-2010) ein stadtplanerisches, ästhetisches und politisches Zeichen setzen wollen. Auf Einladung von Literaturhaus, Förderverein und Presseclub erklärt der Architekt, warum und wie er es tat. Er, der in Basel sein Architekturbüro betreibt, arbeitet auch übergreifend über Themen der Urbanität und lehrt an der ETH Zürich Archtiekturdesign. Außerdem befasst er sich seit vielen Jahren mit Räumen der Flucht.
"From Camp to City" Vom Lager zur Stadt
Hierzu liegen auch die Sachbuch-Publikationen vor, die Grundlage dieser seit Anfang des Jahres neuen Gesprächsreihe sind. "From Camp to City: Refugee Camps of the Western Sahara" ist von Manuel Herz 2012 auf Englisch im Verlag Lars Müller herausgegeben worden; "Geplanter Aufbruch: Neue Synagogen in Deutschland" heißt der Band, der sich mit der Herz-Synagoge in Mainz beschäftigt.
Moderator Stefan Schröder (Chefredakteur dieser Zeitung) wird das Schriftliche, das Geschriebene als Ausgangspunkt der äußeren und inneren Raumgestaltung gefallen haben. In den Räumen des Presseclubs überließ er dem Gast das Wort für einen reflektierten und illustrierten Vortrag über die bauliche Umsetzung eines jüdischen Bethauses in Mainz und über die sozialpolitischen Folgen von Lagergestaltung in der Westsahara. Dieser Architekt vereint beides: Forschung und Umsetzung, Handwerk und Projektion.
"Licht der Diaspora" nennt er seinen Bau für die jüdische Gemeinde Mainz - Diaspora ist für Juden überall außerhalb von Jerusalem. Manuel Herz hat Bezug genommen auf die jüdische Schrifttradition, indem die Keramik-Fassade der Synagoge aus Einritzmustern besteht, und Gipsstuck-Bänder mit einer Million hebräischer Buchstaben den Versammlungsraum dekorieren.
Gegen Hemmschwellen - für eine Alltäglichkeit
Bewusst ist die Blockrandbebauung so nahe wie möglich an den öffentlich Raum herangeführt - gegen Hemmschwellen und für eine Alltäglichkeit. Insofern macht Architektur immer auch eine politische Aussage. Dieser Bezug zwischen Baukonzept und Politik interessiere ihn sehr, sagt Herz.
Die Flüchtlingslager für die Sahrauis in der Westsahara sind für ihn ein lehrreiches Beispiel, wie äußere architektonische Form gesellschaftliches Leben beeinflussen kann: Feste Häuser und aufgebaute Zelte spiegeln wider, dass es hier um Vorübergehendes wie auch Bleibendes geht. Ausnahmezustand und Alltäglichkeit sind kein Gegensatz, sondern gelten gleichermaßen. Diesen Grundsatz könne auch europäische Flüchtlingspolitik berücksichtigen. Manuel Herz: "Wir können Flüchtlingen viel mehr zutrauen."
Wiesbadener Kurier, 08.11.2016