Ein Bericht aus Erfurt - Chefredakteur Jan Hollitzer von der Thüringer Allgemeinen zu Gast
Bis Erfurt fährt man mit dem Auto etwa drei Stunden, aber was Jan Hollitzer an diesem Abend über das Nachbarland Thüringen erzählte, klang für viele im Presseclub wie aus einer anderen Welt. Und die Welt - dort drüben - ist auch noch anders. Das war eine wichtige Botschaft, die der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen im Gespräch mit Moderator Thomas Dreesen mitgebracht hatte. Hollitzer führt die Redaktion der wichtigsten Zeitung des Bundeslandes seit 2018, ist Erfurter von Geburt, hat aber als leitender Mitarbeiter des Funke-Verlages ausreichend Erfahrung als Journalist im Westen gemacht, um vergleichen zu können.
Zu erklären waren an diesem Abend die Wahlergebnisse der Landtagswahlen im September, bei denen die Alternative für Deutschland (AfD) mit deutlich mehr als 30 Prozent die stärkste Partei im Land geworden war. Und der politische Newcomer, das Bündnis Sahra Wagenknecht, hatte aus dem Stand fast 16 Prozent erreicht.
Hollitzer bleibt skeptisch, ob es in Erfurt zu einer regulären Koalition aus CDU, SPD und BSW kommt. Zu unterschiedlich seien die Ansätze und zu groß sei die Versuchung, sich auf Kosten der Koalitionspartner zu profilieren. Parteichefin Wagenknecht sei schon deshalb gegen die Regierungsbeteiligung, weil sie sich für der Bundestagswahl im September 2025 mehr Stimmen aus der Totalopposition heraus ausrechnet.
Was ist anders in Thüringen? Hollitzer rechnete vor, dass die Bürger in den neuen Bundesländern sehr viel weniger Eigentum besäßen, dass der Frust, fremdbestimmt zu sein, ausgeprägt sei. Und trotz der relativ niedrigen Zahl von Migranten, würden diese doch, weil ein ungewohnter Anblick, viel misstrauischer gesehen. Es gebe zudem regelrechte Frustgegenden, in denen die Zahl der männlichen Bürger überwiege und die Erinnerungen an eine Zeit der Hilflosigkeit und Existenzvernichtung in den 90er Jahren sehr präsent sei.
Dennoch staunt auch er: Darüber, dass ausgerechnet in Thüringen der extremste Landesverband der AfD sitze und mit einem so hohen Stimmenanteil belohnt werde. Aus seiner Sicht wird es noch schlimmer: 37 Prozent der Jugendlichen unter 18 Jahre und 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen neigten der AfD zu. „Die müssen in der Partei also nur abwarten.“ Das gelte auch für den Zustand in der Regierung, wenn sie aus CDU, SPD und BSW gebildet würde. Jeder der Partner habe mit diesem Pakt schon ein Wahlversprechen gebrochen. Außerdem sei man auf die Duldung der Linken angewiesen - ein gefundenes Fressen für die Fundamentalopposition der äußersten Rechten.
Dieser bescheinigte Hollitzer eine ausgeklügelte Kommunikationsstrategie. „Die betreiben permanent Wahlkampf und sorgen für die Besetzung bestimmter Themenfelder für einen dauerhaften Erregungszustand.“ Ein zentral eingerichteter Newsdesk speise - im Austausch mit ausländischen Schwesterparteien - immer wieder neue Aufreger in das Social Mediasystem ein. Und Marktführer bei den jugendaffinen Plattformen wie TikTok ist nun mal die AfD.
Geradezu anbiedernd erscheint der Umgang des thüringischen Parteiführers Höcke mit der DDR-Vergangenheit. Der aus Hessen stammende Lehrer sei mit einem Lada aus russischer Produktion am Wahllokal vorgefahren, er lade Jugendliche zu nostalgischen Ausflügen mit dem beliebten Moped vom Typ „Schwalbe“ ein. „Das ist aus meiner Sicht nun wirklich kulturelle Aneignung“, meinte Hollitzer.
Der Kollege steckt ob dieser Zustände dennoch nicht auf. Es gelte, nun besonders in der Berichterstattung auf die Trennung von Meinung und Information zu achten, es gebe viele wichtige und spannende Themen, und er dürfe ein motiviertes Team führen.“
Jan Hollitzer (links) und Thomas Dreesen