Besorgter Blick nach Westen
Ingo Zamperoni spricht im Presseclub über ein Jahr Donald Trump
Von Viola Bolduan
WIESBADEN - Stehvermögen ist zum Jahresempfang des Wiesbadener Presseclubs (PCW) verlangt und wird begünstigt. In der gedrängten Dichte der Prominenz ist in den Clubräumen ein Wanken eben kaum möglich. Über den zahlreichen Zuspruch freut sich PCW-Vorsitzender Stefan Schröder und hält seine Begrüßungsansprache kurz und wie immer aus leichter Hand. „Schade, dass der OB nicht da ist“, schließt seine Bedauernsbilanz, dass es noch keine Regierung, noch keinen Frieden (beispielsweise zwischen Nord- und Südkorea) gebe und unter den Gästen noch keinen … Der Satz ist Signal: Just betritt Oberbürgermeister Sven Gerich den Raum. Nicht nur dieser Gag wird im Laufe des Abends ein gelungener sein.
Jetzt kann der Chefredakteur dieser Zeitung auch die positiven Stadtprojekte auflisten: Rhein-Main-Congress-Center, das Ernst-Museum, Ausbau der Krankenhäuser, Aufbau des Kurecks … und die Prominenz aus Politik und Wirtschaft am kompetent organisierten PCW-Abend. Für OB Gerich sind es ganz einfach „tolle Menschen“, denen er als Grußwort einmal mehr das Jahr 2018 als eines des bürgerlichen Engagements empfiehlt. Den Büttenreim „Machen Sie mit, ich glaub‘ das wird ein Hit“, verkneift er sich nicht ganz. Und ganz und gar nicht die Freude auf seine erste leibhaftige Begegnung mit „Mr. Tagesthemen“, dem Gastredner Ingo Zamperoni.
Nicht auf die Figur Trump fixieren
Sympathisch unübersehbar steht der ARD-Moderator (1,95 Meter) auf der Schwelle zum angeschlossenen Zelt. Die Zeitung kennt der in Wiesbaden aufgewachsene, ehemalige Leibnizschüler als Praktikant des Wiesbadener Kurier 1992, ebenso kennt er den PCW-Raum – vor fast einem Jahr sprach er hier vor dem Deutschen Journalisten-Verband über des Amerikanischen Präsidenten erste 100 Tage. Diesmal ist „Ein Jahr Trump“ das Thema. Kein Zweifel, dass sich der 43-jährige Journalist auch hier bestens auskennt als früherer ARD-Korrespondent in Washington, Buchautor („Fremdes Land Amerika“) und Ehemann einer Amerikanerin. Ingo Zamperonis Analyse ist so sachlich wie differenziert.
„Es ist nun mal so: Der Mann bleibt und kann auch wiedergewählt werden.“ Empörung über Trumps unberechenbares Auftreten, seine launenhaften Eingebungen auf Twitter oder populistische Demonstration von Stärke („America first“) könne, so Zamperoni, auch notwendige Energie zum Erhalt liberaler Demokratien aufsaugen. Er warnt, sich nicht auf die Figur Donald Trump zu fixieren, sondern reale Risiken für ein demokratisches Staatsgebilde zu erkennen. „Die Aussicht auf eine erfolgreiche Trump-Ära sollte Sorge machen.“ Wenn denn der außenpolitische Rückzug der USA und weltweit erschüttertes Vertrauen in dessen Präsidenten im Land selbst als Erfolg gelte.
Gegenseitige Toleranz gefordert
Trotz großer „Wut im Land der Waffengewalt“ vertraut Zamperoni dennoch der Zähigkeit eines Rechtsstaats. Obwohl auch Europa aufpassen müsse: „Wie viele liberale Demokratien sind hier noch übrig?“, fragt er und nennt als Schutz vor einer Auflösung „gegenseitige Toleranz, Zurückhaltung und Einsicht“. Werden gewohnte Sicherheiten instabil, erwüchsen gerade den Medien „herausfordernde und herausragende Aufgaben“.
Damit ist man wieder zurück im Presseclub, und die Zuhörenden stehen noch. Wofür Zamperoni nach viel Beifall dankt, als Auszeichnung eine PCW-Krawatte entgegennimmt und verspricht, sie kommenden Montag in den ARD-Tagesthemen zu tragen. Donnernder Applaus. Aber noch kein Ende.
Sehr beliebt ist jetzt der Griff der rund 120 Gäste zum Glas, auch zum Häppchen und groß vor allem der Andrang zum Festredner. Wenn er doch schon einmal zum Greifen so nahe steht, möchten sich viele mit Ingo Zamperoni auch fotografieren lassen. Danach geballte Grüppchenbildung in lockeren Gesprächsrunden, eine Geburtstagsgratulation und beim Aufbruch: „Es war ein schöner Abend!“
Wiesbadener Kurier, 21.02.2018